Das Nahrungsspektrum der Wölfe in der Schweiz – Teil 2
In der Schweiz ernähren sich Wölfe vor allem von Wildtieren – allen voran vom Rothirsch. Insgesamt machen Wildtiere 88.3 % der Nahrung des Wolfes aus.
Bereits im Juni 2024 veröffentlichten wir erste Ergebnisse der Untersuchung «DNA Metabarcoding Reveals Wolf Dietary Patterns in the Northern Alps and Jura Mountain» auf unserer Webseite. Seither haben wir die Studie weitergeführt: Der Untersuchungszeitraum wurde um zwei Jahre verlängert, zusätzliche Kotproben analysiert und neue Aspekte berücksichtigt. So können wir jetzt etwa Unterschiede im Nahrungsspektrum je nach Region und sozialem Status der Tiere aufzeigen. An der zentralen Aussage ändert sich jedoch nichts: Der Wolf in der Schweiz ernährt sich vor allem von Wildtieren; Nutztiere wie Schafe, Ziegen oder Rinder fanden sich, je nach Region und Saison, nur in geringen Anteilen.
Wildtiere machen 88.3 % der Wolfsnahrung in der Schweiz aus – vor allem Hirsche, Rehe und Gämsen. Nutztiere tragen 11.7 % bei, hauptsächlich Schafe.
Die Ernährung der Wölfe variiert je nach sozialem Status, Jahreszeit und Region.
Sozialer Status
In der Untersuchung wurde berücksichtigt, ob sich die Nahrung der Wölfe unterscheidet, je nachdem, ob sie in einem Rudel leben oder allein leben. Tatsächlich zeigt sich ein Einfluss des sozialen Status auf das Fressverhalten: Einzelwölfe fressen im Verhältnis mehr Rehe. Um weitere Unterschiede zuverlässig beurteilen zu können, braucht es mehr Daten und eine genauere Unterscheidung zwischen wandernden und ansässigen Einzelwölfen.
Jahreszeit
Nebst dem sozialen Status spielt auch die Jahreszeit eine Rolle. So werden Rehe im Winter häufiger gefressen, während Gämsen im Sommer und Herbst eine grössere Bedeutung haben – insbesondere in den östlichen Schweizer Alpen und im Wallis. Der Anteil an Nutztieren nimmt im Sommer jeweils zu, was wohl auf die grössere Präsenz der Nutztiere in den Bergen während der Alpsaison zurückzuführen ist. Beim Hirsch zeigen sich keine saisonalen Unterschiede.
Region
Auch regionale Unterschiede wurden untersucht. In den Walliser Alpen machen Rehe und Gämsen, im Gegensatz zu den anderen Gebieten einen grösseren Anteil der Wolfsnahrung aus als Hirsche. Dies kann teilweise durch ein höheres Vorkommen erklärt werden. Im südlichen Jura waren Rinder häufiger Teil des Nahrungsspektrums. In den übrigen Regionen zeigen sich keine markanten Unterschiede.
Untersuchungsmethode
Die Analyse basiert auf dem DNA-Metabarcoding-Verfahren, das es erlaubt, DNA-Fragmente der jeweiligen Tierart zuzuweisen. Zwischen 2017 und 2024 wurden 698 Kotproben von 250 verschiedenen Wölfen gesammelt und in die Untersuchung einbezogen. Bei 653 Kotproben konnten im Labor DNA-Fragmente von Beutetieren nachgewiesen werden. Bei der Interpretation der Ergebnisse muss man sich bewusst sein, dass Kotproben untersucht wurden, was auch Limitationen mit sich bringt. Die Resultate zeigen, was Wölfe gefressen haben, nicht was sie gerissen haben. Es kann also sein, dass Tiere als Aas gefressen wurden, die durch andere Ursachen gestorben sind oder dass Tiere von Wölfen getötet aber nicht gefressen wurden. Letzteres dürfte vorwiegend bei Nutztieren der Fall sein. Zudem ist es relevant, wo die Proben gesammelt wurden: Wie erwartet, ist der Anteil an Nutztieren höher, wenn man sich nur auf Kotproben konzentriert, die in der Nähe von Nutztierkadavern gesammelt wurden, als wenn die Proben zufällig oder in der Nähe von Wildkadavern gesammelt wurden.
Kollaboration
Diese Nahrungsanalyse wurde im Rahmen des KORA-Projekts «Integriertes Monitoring und Management» (IMM) durchgeführt. Sie ist Teil des PhD-Projekts von Florin Kunz, das in Zusammenarbeit mit dem Departement für Ökologie und Evolution der Universität Lausanne realisiert wird. Die Proben wurden vorwiegend von kantonalen Wildhüterinnen und Wildhütern gesammelt und eingesandt. Die genetischen Analysen erfolgten am LBC der Universität Lausanne mit finanzieller Unterstützung des BAFU und einer privaten gemeinnützigen Stiftung. Wir bedanken uns bei allen Beteiligten für die gute Zusammenarbeit.
Zum ersten Teil: Das Nahrungsspektrum der Wölfe in der Schweiz
