Zukunftsaussichten für Bären in der Schweiz
Die Rückkehr des Braunbären in die Schweiz beschränkt sich bislang auf einzelne Bärenbesuche: Nachgewiesen wurden ausschliesslich männliche Tiere, die meist nach kurzer Zeit weiterwanderten. Ohne Zuwanderung von Weibchen kann sich keine stabile Population bilden. Entscheidend für die zukünftige Entwicklung sind die Populationsdichte im Trentino, die ökologische Durchlässigkeit der Alpenräume sowie die gesellschaftliche Akzeptanz gegenüber dem Grossraubtier.
Männliche Bären in der Schweiz – Wanderer ohne Partnerinnen
Bis heute wurden nur männliche Bären in der Schweiz nachgewiesen. Wie bei den meisten Tierarten wandern Männchen weiter ab als Weibchen. Die meisten Bären haben die Schweiz nach einem relativ kurzen Aufenthalt von einigen Tagen bis wenigen Monaten wieder verlassen, vermutlich weil sie keine weiblichen Artgenossinnen für die Paarung fanden. Eine Ausnahme war M29, welcher sich über drei Jahre lang in der Schweiz aufhielt und auch als bisher einziger bestätigter Bär ausserhalb des Kantons Graubünden nachgewiesen wurde. Seit 2020 lebt er allerdings westlich des Lago Maggiore in Italien. Das Beispiel von M29 zeigt, dass in grossen Teilen der Schweiz jederzeit mit der Präsenz eines Männchens gerechnet werden muss. Dass er sich nun in Italien und nicht in der Schweiz aufhält, ist wohl eher dem Zufall als der Schönheit Italiens zu verdanken. M29 ist in dieser Region von der übrigen Population aber isoliert und eine erneute Weiterwanderung zur Suche nach Artgenossinnen ist nicht auszuschliessen.
JJ2 war im Jahr 2005 der erste Bär, welcher nach der Ausrottung in der Schweiz nachgewiesen werden konnte.
© Jon Gross / AJF GR
Wann kommen die Weibchen?
Diese Frage kann nicht eindeutig beantwortet werden. Grundsätzlich sind zwei unterschiedliche Szenarien vorstellbar, wie Bärinnen den Weg in die Schweiz finden werden:
- Die allmähliche Ausdehnung des von den Bärinnen begangenen Gebiets der Population (in diesem Fall dem Trentino)
- Eine spontane Einwanderung eines einzelnen Weibchens direkt aus dem Trentino
Das von Bärinnen begangene Gebiet im Trentino blieb knapp 20 Jahre lang ungefähr gleich gross und hat sich erst in den letzten vier Jahren knapp verdoppelt, vermutlich als Folge einer zunehmenden Populationsdichte. Laut dem Jahresbericht der Trentiner haben die Weibchen im Jahr 2024 eine Fläche von 2019 Quadratkilometern für sich beansprucht, währenddem die Männchen im gleichen Jahr eine Fläche von 34’370 Quadratkilometern durchstreiften. Diese Zahlen sind eine sehr grobe Schätzung, zeigen aber den Unterschied zwischen den Geschlechtern eindrücklich. Bis die Lücke zwischen dem begangenen Gebiet der Weibchen und der Schweizer Grenze geschlossen wird, dürften noch einige Jahre oder gar Jahrzehnte vergehen.
Es gibt in der Literatur allerdings auch einzelne Hinweise aus Skandinavien und Slowenien, die nahelegen, dass einzelne Weibchen über ebenso grosse Distanzen abwandern können wie ihre männlichen Artgenossen. In diesem Falle läge die Schweiz durchaus jederzeit in Reichweite wanderfreudiger Bärinnen aus dem Trentino. Bis anhin wurde noch keine solche Abwanderung von Bärinnen aus dem Trentino beobachtet, sie kann aber in Zukunft auch nicht völlig ausgeschlossen werden.
Zeitliche Entwicklung des von den Weibchen (links) besetzten und von männlichen Trentino-Bären (rechts) durchstreiften Gebiets von 2008 bis 2024.
In den letzten vier Jahren haben die Weibchen begonnen ihr Kerngebiet (mit Reproduktion) etwas auszudehnen. Wenn die Entwicklung im Trentino so weitergeht wie in den letzten 20 Jahren, steigt auch die Wahrscheinlichkeit von weiblichem Bärenbesuch in der Schweiz.
Beachte die unterschiedlichen Skalen der vertikalen Achse. Die Männchen durchstreifen eine viel grössere Fläche im Vergleich zu den Weibchen, welche bis jetzt nur im Kerngebiet nachgewiesen wurden. Daten: Jahresberichte Trentino
Drohende Inzucht-Problematik
Die Population im Trentino ist klein und isoliert. Eine Verbindung zu der Dinariden-Pindos-Population ist für das langfristige Überleben des Braunbären in den Alpen von zentraler Bedeutung. Daher kommt den Ländern Italien, Österreich und Slowenien eine besondere Verantwortung zu. Die Schweiz liegt am Rande des Verbreitungsgebiets, kann jedoch trotzdem einen Teil zum Erhalt des Bären in den Alpen beitragen. Bleibt aber die Population in Italien so klein und isoliert, kommt es zum Verlust von genetischer Variabilität und das Bestehen der Population ist in Frage gestellt. Es ist daher von zentraler Bedeutung, noch funktionierende Wanderkorridore zu erhalten und dort, wo Barrieren bestehen, die Durchlässigkeit mit geeigneten Massnahmen wieder herzustellen. Der Bär in den Alpen hat nur eine Chance, wenn er als Metapopulation – mit Verbindungen zur Population in den Dinariden – bestehen kann.
Präventionsmassnahmen
Für eine erfolgreiche Rückkehr des Bären in die Schweiz, ist es zudem von zentraler Bedeutung weiterhin auf Sensibilisierungsmassnahmen zu einem möglichst konfliktarmen Zusammenleben zwischen Menschen und Bären zu setzen. Folgende Schutzmassnahmen und Verhaltensregeln haben sich in der Schweiz und im Ausland bewährt:
- Bärensichere Abfallkübel
- Elektrozäune und Herdenschutzhunde (für Nutztiere und Bienenhäuser)
- Kein Anlocken von Bären
- Keine Essens- oder Futterreste draussen liegen lassen
- Auf Wanderwegen bleiben
- Hunde an der Leine führen
Herdenschutzhund im Walliser Rappental Herdenschutzhund im Walliser Rappental
© Samuel Trümpy
Schutz durch Elektrozäune Schutz durch Elektrozäune
© KORA
Bären sicherer Kübel auf dem Ofenpass (GR)
© KORA
Merkblätter
Detailliertere Information zum korrekten Verhalten im Bärengebiet und bei Begegnungen mit Bären findest du in den einzelnen Merkblättern des Kantons Graubünden.
Ausblick
Im Bärenkonzept Schweiz wird davon ausgegangen, dass sich mittelfristig wieder Bären in der Schweiz niederlassen werden.
Präventionsmassnahmen tragen dazu bei, dass sich die Bären eher in ihrem bevorzugten Lebensraum im Wald oder am Berg aufhalten und gegenüber Menschen scheu bleiben. Das ist eine der Grundvoraussetzungen für eine möglichst konfliktarme Koexistenz zwischen Mensch und Bär in einer so dichtbesiedelten Kulturlandschaft wie in der Schweiz.
Daneben spielt die menschliche Akzeptanz eine mindestens ebenso wichtige Rolle. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass bei verhaltensauffälligen Individuen die grundsätzlich vorhandene Akzeptanz schnell in eine grosse Ablehnung kippen kann. Daher ist neben der Prävention von Schäden und der Vermeidung einer Gewöhnung an menschliche Nahrungsquellen ein konsequentes Management von Problembären wichtig.
Die naturnahe Landschaft der Schweiz bietet dem Braunbären in vielen Regionen einen geeigneten Lebensraum. Ob wir Menschen allerdings bereit sind, diesen von uns als selbstverständlich beanspruchten Lebensraum mit einem so eindrucksvollen und in seltenen Fällen auch gefährlichen Raubtier zu teilen, wird die Zukunft zeigen. Eine kontinuierliche, Sensibilisierung der Bevölkerung durch eine transparente Kommunikation, eine unkomplizierte, rasche Entschädigung allfälliger Schäden und eine fortlaufende, möglichst engmaschige Beobachtung und Einschätzung der in der Schweiz lebenden Bären durch Spezialistinnen und Spezialisten ist eine unabdingbare Voraussetzung für eine erfolgreiche Rückkehr des Bären in die Schweiz. Es gilt also, niemandem einen Bären aufzubinden, damit wir dem Bären keinen Bärendienst erweisen, sondern die Voraussetzungen schaffen, dass dieses symbolträchtige Tier auch ausserhalb von Wappen, Restaurant- und Flurnamen wieder Fuss fassen kann.

